Ohne Frauen* ist keine Verkehrswende zu machen!
Ein Beitrag von Sarah George
Der Mann sieht der Welt geradewegs ins Antlitz, als wäre sie für sein Belieben da und nach seinem Geschmacke gestaltet. Die Frau schaut sie mit einem Seitenblick an, der voll hintergründiger Gedanken, ja voll Misstrauen ist.
Virginia Woolf, englische Schriftstellerin
Das Auto als Symbol männlicher Dominanz
Das Auto galt als Versprechen des sozialen Aufstiegs, der individuellen Freiheit und Unabhängigkeit. Technische Innovationen sollen das Automobil immer etwas schneller, größer, effizienter machen. Alles Attribute, die eng mit einem traditionellen Männlichkeitsbild und auch mit männlichen Lebensläufen verknüpft sind (vgl. u.a. Aljets 2020). Das Auto sozusagen als Bestandteil männlicher Identität oder um es mit Judith Butlers Worten zu formulieren: als männliche Praktik bzw. Performance.
Diese Zuschreibung fußt auf einem System, das Männern den Zugang zu allen öffentlichen Angelegenheiten, wie zur Erwerbstätigkeit, sichergestellt hat und für die sie möglichst schnell und effizient mobil sein müssen. Frauen hingegen halten sich am besten Zuhause auf und gehen unbezahlter Reproduktionsarbeit nach. Dem liegt eine Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit zugrunde, durch die Gesellschaft in einen männlich-öffentlichen und weiblichen-privaten Raum aufgeteilt und vergeschlechtlicht wird.
Mobilität, so wie sie heute ausgestaltet ist, dient überwiegend männlich-öffentlichen Bedürfnissen.
Auch wenn diese Einteilung heute durchlässiger ist, zeigt sie sich verkehrsstatistisch eindeutig: Die Wegzwecke von Frauen sind überwiegend alltägliche Erledigungen oder die Begleitung von mobilitätseingeschränkten Personen, also Tätigkeiten, die eher dem Privaten zugeschrieben werden. Männer hingegen sind am häufigsten auf dem Weg zur Arbeit oder Ausbildung unterwegs und das am liebsten mit dem Auto (vgl. MiD 2017: 64).
Das Auto war „eine Befreiung von bisher wahrgenommenen Abhängigkeiten […]. Man war nicht mehr unmittelbar an die Örtlichkeit gebunden und konnte sich aus räumlichen und sozialen Zwängen gleichermaßen befreien. Alles ganz selbstverständlich.“ Nicht ganz so selbstverständlich galt das für Frauen, die sich die neue Selbstständigkeit, wie so vieles, erst erkämpfen mussten und immer noch tun. In Saudi-Arabien dürfen Frauen seit 2018 Auto fahren, nachdem sie dafür seit über 10 Jahren in Bewegungen wie „Women2Drive“ – nicht ohne Konsequenzen – eingetreten waren. „Befreit“ sind sie seitdem jedoch nicht.
Es ist nur allzu verständlich, dass Frauen sich den Spielregeln der öffentlichen Sphäre anpassen und jetzt auch gern eine Karriere oder eben ein großes Auto (weil es in Anbetracht des Zustands des öffentlichen Verkehrs oft auch einfach praktischer ist) haben wollen.
Mehr noch werden Frauen gezielt als Markt von großen Autokonzernen angeworben und zu neoliberalen Komplizinnen gemacht.
Diese Konzerne eignen sich dabei auch gern feministische Kämpfe an und schmücken sich mit Diversity Konzepten, binden Frauen und People of Color in ihre Marketing-Konzepte ein, um die Verkaufszahlen zu erhöhen. Das alles heißt jedoch noch lange nicht, dass Frauen im Verkehrsbereich gleichberechtigt sind, nur weil sie jetzt auch SUV fahren und die Umwelt verschmutzen.
Der Gender Gap in allen Bereichen der Automobilindustrie zeigt, dass die Branche eine der letzten Bastionen ausschließlich für Männer zu sein scheint: 34 Prozent Frauen-Anteil an allen Leitungsfunktionen im BMVI (Gleichstellungsindex 2018), 33 Prozent der Frauen sind in der Stadtplanung tätig (DAB 2019), nur 5,6 Prozent der Frauen auf Vorstandsposten in den 50 größten Verkehrsunternehmen (DIW 2017) und 20,7 Prozent der Frauen arbeiten insgesamt im Sektor Logistik, Transport und Verkehr (DVZ 2019). Verkehrspolitik und die Zukunft des Autos werden von Männern für Männer gemacht und die männliche Dominanz in der Automobilindustrie, Stadtplanung, Politik und Gewerkschaften sichert somit auch die Vorherrschaft des Autos auf den Straßen ab. Andere Verkehrsteilnehmer:innen müssen dem dominanten Auto weichen. Mit Blick auf die Unfallstatistik wird klar:
Männer bauen nicht nur Straßen, sie verursachen auch die meisten Unfälle
Das Versprechen vom sozialen Aufstieg durch das Auto ist schon lang nicht mehr gültig (vgl. Canzler et al. 2018), was bleibt sind rasende Männer, die auf ihrer Freiheit hinterm Steuer bestehen.
Jobsicherung für Männer
Diese Männerbündelei lässt sich nur schwer durchbrechen. Trotz der massiven Absatzprobleme der Automobilindustrie und aller klimapolitischen Forderungen der letzten Jahre sowie absehbaren Folgekosten des Emissionsausstoßes des motorisierten Individualverkehrs fordern Politik und Gewerkschaft Konjunkturpakete und den Erhalt des privaten Pkws.
Was als Wirtschaftssicherung verkauft wird, ist eigentlich Jobsicherung für zumeist Männer, die überwiegend von den Hilfen profitieren.
Das zeigen die Berechnungen der Politikwissenschaftlerin Claudia Wiesner (vgl. Hassenkamp 2020). Es geht um Arbeitsplätze, die seit Jahrzehnten sehr gut entlohnt werden, weil sie von einem patriarchalen System, das ihnen kostenlos den Rücken für die Lohnarbeit freihält und nicht zuletzt der Ausbeutung der Natur, profitiert haben. Anders gesagt: Die Prosperitätsschübe der Automobilindustrie beruhen immer auch auf „sozialen Hierarchien, auf Klassen- und Geschlechterverhältnissen“ (Dörre 2019: 13). Es handelt sich hierbei um eine Industrie, deren kapitalistische und ausbeuterische Struktur nicht mit dem Anspruch auf Gerechtigkeit und Klimaschutz zu vereinbaren ist. Dennoch halten die männlichen Spitzenpositionen in Gewerkschaft und Politik weiterhin am privaten Pkw fest.
Nach wie vor zentriert sich der Diskurs vor allem auf die klassischen Berufe im produzierenden Gewerbe. Jedoch war eine der ersten Maßnahmen der Automobilindustrie, um den Gewinneinbruch abzufedern, Arbeitsplätze in sogenannten Unterstützungsfunktionen wie im Personalmanagement, in der Marketing- oder Rechtsabteilung zu reduzieren (vgl. Niethammer 2019).
Das sind vor allem die Bereiche, in denen überwiegend Frauen in der Mobilindustrie tätig sind.
Hinzu kommt, dass Frauen auch noch im Durchschnitt weniger verdienen, häufiger befristet und Teilzeit beschäftigt sind als ihre männlichen Kollegen. Darüber hinaus waren Frauen traditionell schon immer von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen und jetzt müssen plötzlich mehrere Konjunkturpakete dafür herhalten, um die Arbeitsplätze von Männern zu sichern. Die „Sicherheitsinteressen von Beschäftigten [führen] zur Konservierung des Bestehenden“, wobei Umweltpolitik gern gegen die Arbeitsplätze von Männern ausgespielt wird. Eine betriebliche Sicht auf den Klimawandel und den Abbau von Stellen in der Automobilindustrie ist auch eine Geschlechterfrage.
Transformation ja, aber bitte ohne die eigenen Privilegien aufgeben zu müssen
Woran liegt es also, dass anders als alle anderen Sektoren nur der Verkehr noch keine Emissionseinsparungen erzielen konnte? Es sind männliche Herrschaftsverhältnisse, die ihre eigenen Interessen und die Privilegierung des Autos weiterhin absichern. Wenn sich ab morgen allerdings nur noch Frauen im Verkehr bewegen würden, kämen wir einer Verkehrswende und autofreien Innenstädten ein ganzes Stück näher. Frauen nutzen und besitzen seltener ein Auto (vgl. MiD 2017: 51), fahren öfter Fahrrad oder gehen zu Fuß und mehr als die Hälfte aller Nutzer:innen des ÖV sind Frauen. In Deutschland sind nur 32 Prozent aller Neuwagenkäufer:innen weiblich. Hinzu kommt, dass Frauen mehr Wert auf Autos mit geringerem Verbrauch und Schadstoffausstoß legen als Männer.
Die Verkehrswende hat bisher meistens männliche Bedürfnisse im Blick, was unter anderem die Nutzungszahlen von Car-Sharing-Angeboten zeigen: So sind über 60 Prozent der Carsharing-Nutzer:innen Männer, was sich darauf zurückführen lassen könnte, dass Frauen andere Mobilitätsbedürfnisse haben. Um nur mal ein Beispiel aufzuzeigen:
Ein weiteres Beispiel ist die Ablehnung der CO2-Steuer, da sie sozial nicht verträglich sei. Diese Argumentation lässt jedoch außer Acht, dass Frauen und Menschen aus den ganz unteren Einkommensschichten zumeist sowieso kein Auto besitzen. Von einer steuer- und abgabenpolitischen Verkehrswende wären also vor allem Männer aus mittleren Einkommensschichten betroffen.
Genauso ist auch der Wandel hin zu emissionsfreien Antrieben und insbesondere zur E-Mobilität als alleinige Maßnahme für eine nachhaltige, ökologische Verkehrswende zu kurz gedacht.
Die ausschließliche Elektrifizierung der Fahrzeugantriebe bzw. eine Antriebswende werden die Platz- und Ressourcenkonflikte nicht lösen.
Ziel muss sein, den Verkehr dauerhaft zu verringern und durch beispielsweise Autonomes Fahren die Dominanz des privaten Pkws zu überwinden, auch wenn das bedeutet, dass Männer die Kontrolle auf den Straßen abgeben müssen.
Sicherlich wird es einige Zeit dauern, um nachhaltig einen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik zu erreichen. Allerdings gibt es die Forderungen nach einem Wandel nicht erst seit gestern. Es ist ein männlich-dominiertes System, das dem Automobil weiterhin eine vorherrschende Rolle im Verkehr zusichert. Jedes Mal, wenn es darum geht restriktive Forderungen wie verpflichtende Abbiegeassistenten, Tempolimits, Parkraumbewirtschaftung oder Pop-Up-Fahrradwege durchzusetzen, wollen sich zumeist männliche Politiker nicht ihrer Privilegien und Freiheiten berauben lassen und pochen auf einen Parkplatz direkt vor der Haustür.
Eine feministische und nachhaltige Zukunft der Mobilität
Politische Antworten dürfen nicht länger auf dem Monopol des Autos beharren und die Verkehrswende muss sich auch in der Beschäftigungspolitik widerspiegeln. Eine Forderung sollte dabei sein, vor allem in neues Personal im ÖV zu investieren, statt nicht mehr tragfähige Arbeitsplätze durch Konjunkturpakete abzusichern. Denn überwiegend Frauen profitieren von einer häufigeren Taktung von Bus und Bahn und mehr Servicepersonal und Sicherheit in dunklen U-Bahnhöfen. Dabei muss sichergestellt werden, dass neu geschaffene Stellen auch an gute Arbeitsbedingungen geknüpft sind, gerecht entlohnt und auch für Frauen als attraktiver Arbeitsplatz gestaltet werden.
Auch in Arbeitszeitverkürzungen sollte weiter investiert werden.
Und zwar am besten aus den Gewinnen der Automobilkonzerne selbst, in dem man zum Beispiel die Dividende in Zukunft nicht mehr an die Aktionäre auszahlt, sondern den Beschäftigten zugutekommen lässt. Der Vorschlag nach einer vier-Tage-Woche geht in die richtige Richtung, sowohl in Bezug auf das abnehmende Produktionsvolumen als auch für eine zukunftsfähigere Form der Lohnarbeit mit mehr Freizeit und familienfreundlicheren Arbeitsbedingungen.
Mobilität ist Kernelement einer demokratischen Gesellschaft.
Es muss Anspruch der Politik sein, die Teilhabe aller Menschen am Verkehr gleichermaßen sicherzustellen. Die Verkehrswende mit weniger Autos, Klimaneutralität und Ressourcen- und Flächengerechtigkeit wird nie kommen, wenn sich Männer weiterhin in die Hände spielen. Was die Verkehrswende braucht ist Feminismus und mehr Diversität:
Stadt- und Verkehrsplanung sollte alle gesellschaftlichen Gruppen, Geschlechter* und weitere Diskriminierungsebenen wie Herkunft oder Klasse vertreten und auch in Entscheidungsfunktionen miteinbeziehen. Der Fokus muss stärker auf
- Nahmobilität,
- Multi-Purpose Fahrten,
- einer Stadt der kurzen Wege,
- mehr Sicherheit
- und komfortableren Alternativen
zum Auto gerichtet werden. Alternative Mobilität muss für alle Menschen zugänglich sein, um endlich der Dominanz des privaten Pkws zu entsagen.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Spannender und toll geschriebener Kommentar. Eine intersektionale Perspektive auf Mobilität wird dringend gebraucht!