Zweiräder rauf auf die Parkplätze
Eike Friedrichs ist Geograf und Mobilitätsexperte
bei der Nuts One GmbH in Berlin. Zu seinem Aufgabengebiet
gehören Konzepte und Pilotprojekte für neue (öffentliche)
Mobilitätsangebote.
Anke Borcherding ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Sie beschäftigt sich theoretisch und vor allem praktisch
mit Mobilitätsprojekten.
Zweiräder rauf auf die Parkplätze
Ab Anfang 2023 dürfen in Berlin Zweiräder mit und ohne Motor kostenlos auch auf Pkw-Parkplätzen abgestellt werden. Was rechtlich gesehen nur einen kleinen Schritt darstellt, könnte eingefahrene Routinen und gewohnheitsmäßige Rechte, die bisher zugunsten des Pkw ausfielen, aufbrechen.
Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz wagt einen Aufsehen erregenden Schritt und “erlaubt” ab 2023 das kostenlose Abstellen von Fahrrädern, E-Scootern, Lastenrädern und anderen motorisierten Zweirädern auf bisher den Pkw vorbehaltenen Parkplätzen.
Abgesehen davon, dass erste Stimmen handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen Autoparkenden und Zweiradparkenden vorhersehen wollen, gibt es insgesamt sehr viel Lob für die konsequente Anwendung und Weiterentwicklung von Verkehrsregeln. Die Öffentlichkeit über geltende Verkehrsregeln zu informieren, ist im Berliner Mobilitätsgesetz explizit als ein Baustein genannt, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Rechtlich gesehen ist das Parken von Zweirädern auf öffentlichen Parkflächen ein alter Hut. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schrieb dazu 2019 aus Anlass der aufgebrandeten Diskussion in einem nüchternen juristischen Stil:
“Sofern Straßen zum öffentlichen Verkehr gewidmet sind, gehört das Parken und Halten im Rahmen der Widmung zum Gemeingebrauch und ist damit grundsätzlich erlaubt (…). Der Gemeingebrauch umfasst auch das Abstellen von Fahrrädern (…). Eine Sondernutzung liegt in der Regel nicht vor, da das Abstellen von Fahrrädern meist verkehrsbedingt erfolgt”.
Eine Einschränkung gibt es lediglich insofern, dass Räder nachts erkennbar, das heißt beleuchtet sein müssen, was übrigens für Autos nicht gilt. Das Abstellen von Nicht-Pkw auf Parkplätzen oder am Fahrbahnrand ist also erlaubt. E-Roller, Mopeds und Motorräder müssen schon jetzt auf der Straße abgestellt werden, aber das Parken auf dem Gehweg wird (noch) geduldet. Geduldet wird das auch bei den stetig in ihrer Anzahl zulegenden Lastenrädern.
Dies wird aus unterschiedlichen Gründen von Organisationen wie dem Fachverband Fußverkehr und dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten-Verein zu Recht scharf kritisiert. Mit der neuen Regelung zielt die Senatsverwaltung vor allem auf die Zustände auf den Bürgersteigen. Diese sollen von Fahrzeugen befreit werden und den Zufußgehenden ihren Raum geben und diesen sicherer machen.
Dass auf Stellplätzen das Parken für Zweiräder künftig kostenlos sein soll, wäre eigentlich nur dann erwähnenswert, wenn es tatsächlich eine flächenhafte Parkraumbewirtschaftung in der Stadt gäbe. Davon ist Berlin noch weit entfernt. Dass Zweirad-Nutzer:innen jetzt ausdrücklich ermutigt werden, auf den bisher fast ausschließlich Autos vorbehaltenen Flächen zu parken, ist rechtlich eher von geringer Bedeutung, aber dennoch eine kleine Verkehrswenderevolution.
Damit wird ein quasi natürlicher Zustand auf den Berliner Straßen – Parkplätze allein für Autos – aus den Angeln gehoben. Das ist ein Bruch mit einer Gewohnheit, einer Selbstverständlichkeit, sodass viele erstmal schlucken müssen. Wir werden sehen, ob und wie sich die neue Praxis des Parkens entwickelt. Sie hat jedenfalls das Potenzial, eingefahrene Routinen und gewohnheitsmäßige Rechte zugunsten des Pkw aufzubrechen und frischen Wind für die Verkehrswende auch in die Köpfe zu bringen.
(Dieser Beitrag erschien ebenfalls in unserem Dossier #Antiblockiersystem auf klimareporter.de)