Die Verkehrswende verzögert sich

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Ein Beitrag von Franziska Zehl & Andreas Knie

Der Öffentliche Verkehr verliert, das Auto dominiert, Füße und Fahrrad behaupten sich.

Die Fortsetzung des Lockdowns hat auch im November in ganz Deutschland gravierende Auswirkungen auf den Verkehr. Busse und Bahnen verlieren weiter an Bedeutung, die Füße und das Fahrrad können sich auf vergleichsweise hohem Niveau behaupten. Das dominante Verkehrsmittel bleibt das Auto, insbesondere nimmt die Zahl der Alleinfahrten weiter zu. Ebenfalls gewinnt das Arbeiten zu Hause weiter an Bedeutung und wird vermutlich auch nach den Einschränkungen auf hohem Niveau bleiben. Eine Verkehrswende kommt daher nur langsam in Gange. Insbesondere zeigt sich, dass der Öffentliche Verkehr in der aktuellen Verfassung nicht attraktiv für wahlfreie Menschen ist.

Die Ergebnisse basieren auf dem Forschungsvorhaben „Mobicor“, das vom WZB gemeinsam mit infas auf Basis von 1.508 Befragten im Mai und 1.651 Befragten zwischen Anfang Oktober und Mitte November als repräsentative Erhebung in Deutschland unternommen wird. Die Befragungen werden auch dieses Jahr als Panel Erhebung fortgesetzt.

1. Keine Erholung für den Öffentlichen Verkehr (ÖV) in Sicht

Auch wenn die Wintermonate im Regelfall viele Kund*innen in den ÖV treiben, lag dessen Anteil am Modal Split zwischen Anfang Oktober und Mitte November 2020 bundesweit lediglich bei 7 Prozent. Werden Oktober und November separat betrachtet, wurden im Oktober – das heißt vor Geltung der verstärkten Restriktionen – noch 8 Prozent der Wege per ÖV unternommen. Mit Eintritt in den Teil-Lockdown sank der Anteil des ÖV am Modal Split unter den Befragten dann auf 6 Prozent. In der Tendenz warf der bundesweite Teil-Lockdown den ÖV damit auf dasselbe geringe Niveau wie zu Beginn der Pandemie zurück – im Mai 2020 lag der Anteil ebenfalls bei nur 6 Prozent.

Dass der ÖV nach wie vor eine Außenseiterrolle einnimmt, gilt für ländliche und städtische Regionen in ähnlichem Maße. Während der ÖV in ländlichen Regionen im Mai, Oktober und auch in den ersten beiden Novemberwochen konstant 5 Prozent am Modal Split hält, schwankt der ÖV-Anteil in städtischen Regionen von 7 Prozent im Mai über 8 Prozent im Oktober bis hin zu nurmehr 6 Prozent in der November-Befragung. Auch wenn der ÖV während der Pandemie in städtischen Regionen so insgesamt minimal besser abschneidet als auf dem Land, ist seine Bedeutung im Corona-Jahr 2020 mit einem Anteil von 7 Prozent am Modal Split im Frühjahr und ebenfalls 7 Prozent in den Herbst-/Wintermonaten selbst in städtischen Regionen gering.

2. Das Auto dominiert ohne zu boomen

Die geringe Bedeutung des ÖV im städtischen Raum wird dabei durch eine für die Verkehrswende besorgniserregende Entwicklung bei der Autonutzung (MIV) begleitet. Lag der MIV-Fahrer-Anteil im Frühjahr 2020 in städtischen Regionen noch bei 44 Prozent, hielt er in der Zeit zwischen Anfang Oktober und Mitte November bereits 54 Prozent am Modal Split. Der MIV-Fahrer-Anteil auf dem Land veränderte sich im Laufe des Corona-Jahres 2020 hingegen kaum – wurden im Frühjahr 57 Prozent der Wege auf dem Land von MIV-Fahrer*innen unternommen, waren es im Herbst/Winter 2020 56 Prozent.

Hinzu kommt, dass auch der Alleinfahrer-Anteil in städtischen Regionen im fortschreitenden Verlauf der Pandemie weiter zugenommen hat. Zu Beginn der Corona-Krise, das heißt im Frühjahr 2020, waren 56 Prozent der Wege in der Stadt und 60 Prozent der MIV-Fahrten auf dem Land Alleinfahrten. Im weiteren Verlauf der Pandemie änderte sich dieses Größenverhältnis zwischen Stadt und Land aber drastisch. Während zwischen Anfang Oktober und Mitte November 62 Prozent der MIV-Wege auf dem Land und damit 2 Prozentpunkte mehr als im Frühjahr Alleinfahrten waren, zeigt sich für den städtischen Raum ein deutlich besorgniserregenderer Anstieg im Alleinfahrer-Anteil. Tatsächlich wurde in den Herbst-/Wintermonaten Oktober und November in 67 Prozent der städtischen MIV-Wege allein die Fahrerin bzw. der Fahrer von A nach B transportiert. Das bedeutet einen Anstieg um 11 Prozentpunkte im Alleinfahreranteil zwischen Frühjahr und Herbst/Winter. Insgesamt ist damit nicht nur die Bedeutung des ÖV in städtischen Regionen nach wie vor und gerade zu Zeiten des Teil-Lockdowns gering gewesen. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass ÖV-Fahrten in Städten vielfach durch Alleinfahrten im Auto ersetzt wurden.

Auch wenn im Corona-Jahr mehr Wege per MIV zurückgelegt wurden, ist dennoch kein dramatischer Anstieg der Bereitschaft zur Pkw-Neuanschaffung zu beobachten. Im Oktober überlegte lediglich 1 Prozent der Befragten ein (weiteres) Auto anzuschaffen und selbst zu Zeiten verstärkter Restriktionen im November zogen dies nur 2 Prozent der Befragten in Erwägung. Über den gesamten Erhebungszeitraum von Anfang Oktober bis Mitte November zogen insgesamt nur 1,6 Prozent der Befragten aus der repräsentativen Stichprobe eine Pkw-Neuanschaffung in Betracht. Die Zahl der Neuzulassungen sind im Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 2019 – trotz der Senkung der Mehrwertsteuer – nach Aussagen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) sogar um 20 Prozent zurückgegangen.

3. Fahrrad und Fuß beliebt trotz Wintersaison

Der im Frühjahr festgestellte Fußverkehrsboom (27 Prozent Fuß-Anteil am Modal Split) wiederholte sich während des Teil-Lockdowns im November. So wurden in den ersten beiden November-Wochen sogar 29 Prozent der von den Befragten zurückgelegten Wege zu Fuß unternommen. Tatsächlich zeigte sich das Verkehrsmittel Fuß unter den Befragten während des Teil-Lockdowns nicht nur noch beliebter als im Frühjahr 2020. Vielmehr war das zu-Fuß-Gehen im Corona-November auch deutlich häufiger das Verkehrsmittel der Wahl, als es im Corona-freien November 2017 der Fall war – damals wurde nur jeder fünfte Weg gelaufen. Dass gerade im Falle stärkerer Restriktionen im öffentlichen Raum mehr Wege zu Fuß zurückgelegt werden, zeigt sich schließlich im unmittelbaren Vergleich der Novemberzahlen mit dem zu-Fuß-Anteil aus dem Vormonat Oktober. Dieser lag bei 22 Prozent und damit 7 Prozentpunkte unter dem zu-Fuß-Anteil zu Zeiten des Teil-Lockdowns.

 

Außerdem gewinnt trotz des winterlichen Wetters auch das Fahrrad während des Teil-Lockdowns an Beliebtheit. Wurden im Oktober 2020 noch 9 Prozent der Wege geradelt, lag der Fahrrad-Anteil am Modal Split im November bei 11 Prozent. Damit war das Fahrrad unter den zu Zeiten des Teil-Lockdowns im Herbst befragten Personen genauso beliebt wie unter den im Frühjahr 2020 Befragten. Dabei sind die zurückgelegten Entfernungen sogar angestiegen (Es handelt sich dabei um bundesweite Durchschnittszahlen). In großen Städten wie beispielsweise Berlin sind sogar größere Zuwächse zu verzeichnen.

4. Homeoffice als flexibles Backup

Während im Mai 2020 bereits 32 Prozent der erwerbstätigen Befragten ganz oder überwiegend im Homeoffice arbeiteten, waren es im Oktober trotz der Aufhebung der strikten Beschränkungen immer noch 19 Prozent. Mit Eintritt in den Teil-Lockdown stieg der Anteil der Homeoffice-Nutzenden aber wieder. So arbeiteten von den berufstätigen Befragten in den ersten beiden November-Wochen 30 Prozent regelmäßig ausschließlich von zuhause. Zudem wurden während der verstärkten Restriktionen im Schnitt 3,7 Tage pro Woche im Homeoffice gearbeitet. Im Oktober 2020 arbeiteten die Homeoffice-Nutzenden hingegen nur 3,3 Tagen pro Woche von zuhause aus. Insgesamt hat sich die Arbeit im Homeoffice damit als eine im Corona-Jahr 2020 prinzipiell gern gewählte und bei Bedarf flexibel einsetzbare Praxis erwiesen.

Eine Auswertung von über 100 qualitativen Interviews im Zeitraum von Mai bis Oktober 2020 zeigt, dass zukünftig davon ausgegangen werden kann, dass nur noch rund 70 Prozent der arbeitsplatzbezogenen Wege entstehen werden. Es ist davon auszugehen, dass die Pandemie ganz generell „mobiles Arbeiten“ deutlich ansteigen lassen wird.

 

Zusammenfassung

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich die Menschen im Jahre 2020 weiterhin räumlich sehr kompakt bewegt haben. Vieles kann zu Fuß oder mit dem Fahrrad unternommen werden. Diese beiden Verkehrsmittel sind tatsächlich auch die “Gewinner” in der Pandemie.

Das Auto dominiert hingegen bei Menschen, die bisher verschiedene Verkehrsmittel genutzt haben und geht eindeutig zu Lasten der ÖV-Nutzung. Der Flugverkehr bleibt im Übrigen im In- und Ausland auf extrem niedrigem Niveau und hat sich bei rund 10-15 Prozent des Vorjahresniveaus eingependelt.

Obwohl die Auswertung noch nicht vollständig ist, ist für das Jahr 2020 eine erheblich geringere Verkehrsleistung als im Vorjahr und als im Mobicor-Vergleichsjahr 2017 zu erwarten. Damit sinken auch die CO2-Emissionen des Verkehrs. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass insbesondere die touristischen Aktivitäten wieder signifikant zunehmen werden. Es ist zu erwarten, dass auch nach Corona die Zahl der arbeitsplatzbezogenen Wege deutlich niedriger liegen wird. Hier scheint es, dass tatsächlich so etwas wie eine Barriere durchbrochen wurde.

Bei der Wahl der Verkehrsmittel kennt das Jahr 2020 vor allen Dingen einen Verlierer: den Öffentlichen Verkehr. Geblieben sind vor allem die Kund*innen, die keine andere Wahl haben: in aller Regel mit einem niedrigen Einkommen und geringem Bildungsgrad, mehr Frauen als Männer. Vor allen Dingen fehlen die Wahlfreien, die bislang Busse und Bahnen mit Fahrrad, Mietwagen oder eigenem Pkw kombiniert haben und in den Ballungsräumen eine relevante Kundengruppe repräsentierten.

Gemessen an den Zielen der Verkehrswende, nicht zuletzt einer dauerhaften und deutlichen Senkung des CO2-Ausstoßes, die eine Verdopplung der Nutzungszahlen des ÖV bis 2030 vorsieht, scheint hier noch grundlegender Reformbedarf zu bestehen.

 

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