Wandel der Nutzfahrzeugbranche

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Ein Interview mit Andreas Knie

Wandel der Nutzfahrzeugbranche:

Wer auf Regulierung wartet, verpasst die Zukunft

 

Transportwesen und Personenbeförderung durchlaufen gerade einen tiefgreifenden Wandel. Welche Herausforderungen das für Nutzfahrzeughersteller mit sich bringt und wie sie sich meistern lassen, erklärt Professor Andreas Knie im Interview.

Professor Knie, bis 2030 soll der CO2-Ausstoß des Verkehrssektors im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent sinken. Ein wesentlicher Teil der Reduktion soll aus dem Güterverkehr und der Personenbeförderung kommen. Ist das realistisch?

Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine absolut realistische Perspektive. Und nicht nur Forscher und Wissenschaftler sehen das so. Große Märkte wie Kalifornien und China steuern schon lange in Richtung eines CO2-freien Verkehrswesens. Die technischen Möglichkeiten dafür gibt es ja längst. Sie müssen jetzt unbedingt schnell und umfassend genutzt werden.

Sprechen wir da vor allem von klimafreundlichen Antrieben?

Sie sind ein wichtiger Baustein. Wir haben mit der Elektrobatterie, der Wasserstoff-Brennstoffzelle und dem Wasserstoffverbrenner serienreife Zero-Emission-Alternativen zum konventionellen Verbrennungsmotor in großer Varianz. Da tun sich viele Perspektiven auf. Allerdings ist das eben nur ein Schritt beim Umbau des Verkehrswesens. Der zweite ist, dass wir auch die nötige Energie für diese Antriebe erzeugen müssen. In diesem Bereich hat Deutschland einen kühnen Start hingelegt, leider sehen wir da mit dem neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz jetzt eher einen Rückschritt. Nicht zuletzt geht es darum, Verkehrsanlässe zu reduzieren – also den Personen- und Güterverkehr so neu zu denken, dass Verkehr in vielen Fällen gar nicht erst entsteht.

 

Das klingt nach einem Ansatz, der weit über technologische Fragen hinausgeht.

 

Ja, das ist so. Der Lkw-Verkehr ist in den letzten Jahrzehnten explodiert, weil global produziert wird und immer alles überall verfügbar sein soll. Das kann nicht so weiter gehen – aus Gründen des Klimaschutzes, aber auch, weil die Infrastruktur schon heute bei Weitem nicht ausreicht, um dieses Verkehrsvolumen zu bewältigen. Die Entwicklung muss von globaler zu dezentraler Produktion mit entsprechend geringeren und kürzeren Wegstrecken gehen. Das bedeutet zum Beispiel: Erdbeeren wird es in Zukunft im Winter nicht überall geben. Im Individualverkehr hat die Trennung von Lebens- und Arbeitsort, die durch das Auto möglich war, zu immer mehr Verkehr geführt. Auch hier wird sich etwas ändern müssen. Wie das gehen könnte, hat die Corona-Pandemie punktuell schon deutlich gemacht. Die Arbeit verlagert sich teilweise ins Digitale; das Homeoffice macht den Arbeitsweg überflüssig.

Die angestrebte CO2-Reduktion im Verkehr kann also nur mit großen Veränderungen gelingen, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen.

 

Ja, auf jeden Fall, ohne das kommen wir nicht weiter. Und wir haben eine junge Generation, die diese Veränderungen jetzt und in Zukunft auch stark einfordert.

Was bedeutet das alles für Nutzfahrzeughersteller und ihre Kunden? Wie können sie die Transformation meistern und auch mitgestalten?

 

Man muss hier zwischen Personenverkehr und Lastenverkehr unterscheiden, jeder Bereich hat andere Herausforderungen. In der Personenbeförderung geht es darum, den Markt ganz neu zu denken und aufzubauen. Im Güterbereich gibt es einen guten Markt, den man aber stabilisieren muss.

 

Fangen wir mit der Personenbeförderung an…

 

Der ÖPNV ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Deutschland in einem ziemlich desolaten Zustand und entsprechend unattraktiv für die Menschen. Das sieht man deutlich an den Zahlen: 2019 hatte der ÖPNV nur einen Anteil von 15 Prozent am gesamten Personenverkehr, 2020 durch die Coronapandemie sogar nur acht Prozent. Im Grunde fangen die öffentlichen Verkehrsmittel nur die Menschen auf, die sich kein Auto leisten können. Wenn man aus dieser Nische heraus will – und darum geht es für Hersteller ja auch aus wirtschaftlichen Gründen –, braucht man ganz neue Konzepte. Der ÖPNV muss flexibler werden, seine Tarifstruktur neu aufstellen, das Angebot durchdigitalisieren. Für Hersteller kann das zum Beispiel heißen, dass sie Fahrzeuge nicht nur mit klimafreundlichen Antrieben anbieten, sondern auch in unterschiedlicheren Größen, die sich je nach Passagieraufkommen flexibel einsetzen lassen. Dass sie verstärkt digitale Lösungen integrieren. Ein wichtiges Thema sind auch autonome Fahrzeuge und insbesondere autonome Flotten, wie sie zum Beispiel in Phoenix in den USA schon sehr erfolgreich eingesetzt werden. Hersteller können hier viel bewegen, wenn sie nicht auf gesetzliche Vorgaben warten, sondern proaktiv Lösungen entwickeln.

Und wie sehen die Herausforderungen beim Lastenverkehr aus?

 

Hier geht es darum, den bestehenden guten Markt zu stabilisieren und proaktiv Ideen zu entwickeln, mit denen sich CO2-Emissionen weiter senken lassen. Da geht es um technische Lösungen, aber auch um smarte Logistikkonzepte. Wie lassen sich Leerfahrten reduzieren? Wie sind die Herausforderungen der „last mile“ clever zu lösen? Im Grunde braucht es ein Bündnis für neue Logistik, in dem verschiedene Stakeholder, auch herstellerübergreifend, solche Fragen diskutieren und gemeinsam neue Wege finden. Auch hier gilt, dass Nutzfahrzeughersteller und ihre Kunden nicht auf Vorgaben warten, sondern selbst aktiv werden müssen. Es ist klar, dass es in Zukunft weniger Lkw geben wird und der Druck zum Beispiel durch steigende Mautgebühren und strengere Umweltauflagen wächst. Darauf kann man sich heute schon mit zukunftsweisenden Produkten und Konzepten einstellen.

 

Das Interview führte Dagmar Puh und erschien im Original im Intranet von MAN.

 

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