Brennglas Corona – wer kann, nutzt das Auto
Ein Beitrag von Franziska Zehl
Franziska Zehl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der
Forschungsgruppe Digitale Mobilität und erforscht im Projekt
MOBICOR die Mobilität zu Zeiten der Corona-Pandemie.
Besonders interessiert Sie dabei die derzeitige Lage des
öffentlichen Verkehrs. Sie pendelt zwischen Würzburg/Bayern
und Berlin und erlebt so die Unterschiede in der Vielfältigkeit
und Bedeutung des öffentlichen Verkehrs in der Metropole Berlin
und der 128.000 Seelen Stadt Würzburg im direkten Vergleich.
Brennglas Corona – wer kann, nutzt das Auto
Die Daten der dritten Erhebungswelle im MOBICOR-Projekt liegen vor und es zeigt sich: der motorisierte Individualverkehr (MIV) ist und bleibt auch im Mai 2021 Gewinner der Pandemie. Doch nutzen nicht alle Menschen das vermeintlich Pandemie-resistente Verkehrsmittel Auto gleichermaßen. Stattdessen offenbart das zweite Corona-Jahr eine noch extremere soziale Schieflage in der Mobilität.
Unterschiedliche Ausgangslagen …
Die im Mai 2021 gewonnenen Daten von rund 1.500 Befragten sprechen eine eindeutige Sprache: der Zugang zu einem oder mehreren Pkw steigt mit dem ökonomischen Status des Haushaltes, welcher sich aus einer Verknüpfung von Haushaltsgröße und Haushaltsnettoeinkommen ergibt. Nur 5 Prozent der finanziell sehr gut ausgestatteten Befragten leben in einem autofreien Haushalt. Unter den Befragten mit niedrigem ökonomischem Haushaltsstatus trifft dies auf jede/n Vierte/n zu. Ist ein Auto vorhanden, bleibt es zudem bei rund der Hälfte der befragten Geringverdiener*innen bei diesem einen Auto. Von den Vielverdienenden lebt hingegen allein die Hälfte in einem Haushalt mit zwei Autos. 16 Prozent von ihnen verfügen sogar über einen Fuhrpark von 3 oder mehr Pkw.
… große Unterschiede in der Nutzung!
Dass Menschen mit hohem ökonomischem Haushaltsstatus häufiger überhaupt Zugang zum MIV und auch noch mehrere Autos zur Auswahl haben, macht sich entsprechend in deren Autonutzung im Mai 2021 bemerkbar:
Dabei nutzen Menschen mit hohem ökonomischem Status das Auto im Mai 2021 nicht nur deutlich häufiger auf täglicher Basis (58 Prozent), als es Menschen mit niedrigem ökonomischem Status tun (37 Prozent). Hinzu kommt, dass Vielverdiener*innen noch häufiger als im ersten Corona-Mai vollkommen alleine im Auto sitzen – und das trotz der deutlich entspannteren Infektionslage als zu Beginn der Pandemie. Während nach wie vor rund die Hälfte aller MIV-Wege von Menschen mit niedrigem ökonomischem Status ohne weitere Mitfahrende im Auto zurückgelegt wird, sind im Mai 2021 bereits mehr als drei Viertel der Wege von Vielverdiener*innen Alleinfahrten. Damit macht es sich vor allem die hohe ökonomische Schicht im eigenen Auto bequem und findet im Laufe der Pandemie offenbar zunehmend Gefallen an der reinsten Form des motorisierten Individualverkehrs.
Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander
Die Befragungsdaten legen allerdings nahe, dass weniger gutverdienende Menschen den MIV ebenfalls gerne (häufiger) nutzen würden – und dies im Mai 2021 teilweise auch tun. So gaben im Mai 2021 40 Prozent der über 16-Jährigen aus Haushalten mit niedrigem ökonomischem Status an, seit der Pandemie ein privates Auto häufiger zu nutzen. Letzteres Ergebnis gleicht sich mit der Feststellung, dass im Mai 2021 mehr Geringverdiener*innen als zu Beginn der Pandemie vom ÖV aufs Auto umsteigen (43 Prozent).
Die Annahme, dass die relativ niedrige Umsteigenden-Quote unter Vielverdiener*innen (39 Prozent) mit einer geringeren Bedeutung des MIV in Verbindung steht, wäre allerdings weit verfehlt. Der vergleichsweise geringe Anteil an umgestiegenen Vielverdiener*innen spiegelt lediglich die Tatsache wieder, dass in dieser ökonomischen Schicht kaum noch ÖV-Wege (2 Prozent) getätigt wurden.
In der niedrigen Einkommensschicht ist dieser Spielraum, also die Zahl der theoretisch durch den MIV ersetzbaren ÖV-Wege, noch deutlich höher. Und trotzdem: nicht alle Menschen können auch wirklich vom ÖV aufs Auto umsteigen.
Deshalb findet sich auch im Mai 2021 der höchste Anteil (8 Prozent) am Modal Split in der Gruppe der Geringverdienenden: dort ist zugleich der MIV-Fahreranteil mit 44 Prozent am geringsten. Personen mit hohem ökonomischem Status legen hingegen ihre Wege am häufigsten als MIV-Fahrer*in zurück, nämlich mit einem Anteil von 61 Prozent. Und sie sind am seltensten im ÖV (2 Prozent) unterwegs.
Die soziale Schieflage verschärft sich
Insgesamt versuchen Geringverdiener*innen im Mai 2021 also durchaus öfter das Auto zu nutzen – nur die hohe ökonomische Schicht hat aber auch tatsächlich und häufiger die Mittel dazu, diesem durch die Pandemie befeuerten Wunsch nachzugehen. Damit zeigen die Befragungsdaten einerseits, dass sich die soziale Schieflage in der Verkehrsmittelwahl im zweiten Corona-Jahr zuspitzt. Andererseits erlauben die Ergebnisse auch diejenigen auszumachen, die entscheidender Treiber des MIV-Hochs und der mit Blick auf die CO2-Emissionen extrem ineffizienten Alleinfahrten zu Zeiten von Corona sind – die Vielverdiener*innen.
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