Bullerbü braucht Regeln, Kopenhagen macht’s vor

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Ein Beitrag von Weert Canzler

 

Weert Canzler ist Leiter der Forschungsgruppe
Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung. Er sagt:

“Das Fahrrad ist ideal für kurze Wege. Mehr als die Hälfte
aller Wege ist kürzer als 5 Kilometer. Es braucht jedoch
eine sichere Radinfrastruktur, damit viele auf’s Rad umsteigen.
Die kann es nur geben, wenn Autofahrbahnen und Parkplätze
an den Straßen dafür umgewandelt werden.

 

 


Bullerbü braucht Regeln, Kopenhagen macht’s vor

Sicherlich kann und will nicht jeder und jede mit dem Rad fahren. Auch das Lastenrad ist nicht der Traum aller Träume. Dass aber viel Radverkehr gut funktioniert und nicht als Zwangsbeglückung empfunden wird, ist in Kopenhagen zu beobachten. Dort werden in der inneren Stadt mehr als die Hälfte aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das Rad ist das Routineverkehrsmittel und der Lastesel für alles Mögliche.

Das Rad als Routineverkehrsmittel in Kopenhagen (© Weert Canzler)

Die Ikonen des Radparadieses Kopenhagen

Alle Verkehrsinteressierten kennen mittlerweile die geschwungenen Brücken für Radfahrende und Zufußgehende, die die Stadtufer verbinden. Wo in dicht bebauten Stadtgebieten das Auto nur Gast ist und die Radwege gut ausgebaut und sicher sind, nutzen auch diejenigen das Rad, die nicht schon von früh an so sozialisiert wurden. Doch wie sieht es außerhalb der Innenstadt von Kopenhagen aus? Sehen wir dort die gleichen autoabhängigen Wohnbereiche, wie wir sie in vielen Stadtregionen kennen? Zumindest im früheren Nordhafen der dänischen Hauptstadt, dessen Brachen seit kurzem neu bebaut werden, ist das nicht so. Dort entsteht eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit, die kurze Wege erlaubt und vielfach das Pendeln vermeiden hilft. Das Ein- und Ausladen von Menschen und Gütern ist zwar nach wie vor möglich, es darf jedoch auf öffentlichem Straßenraum nicht geparkt werden.

Hier im Kopenhagener Nordhafen-Quartier wird die jahrzehntelang propagierte Trennung der Funktionen aufgehoben. Das Homeoffice der Corona-Pandemie hat diese Entwicklung zusätzlich unterstützt. Die Straße ist nicht mehr der Abstellplatz für wenig genutzte private Autos, sondern wird vielfältig genutzt. Viel Platz wurde gewonnen und man spürt tatsächlich die oft beschworene neue Aufenthaltsqualität.

Kopenhagener Nordhafen-Quartier (© Weert Canzler)

Mehr Platz für das Verweilen, das Zufußgehen und das Radfahren sind das Eine, weniger Lärm und mehr Sicherheit für Kinder und Alte das Andere. Gleichzeitig hat man im neuen Hafenquartier auf den typischen Planungsfehler – erst bauen, dann die Verkehrsanbindung – verzichtet: Mit den ersten Einzügen von Bewohner*innen und Gewerbe wird eine neue U-Bahn-Verbindung eröffnet und es besteht eine Radschnellverbindung ins Zentrum.

Radschnellverbindung Kopenhagen (© Weert Canzler)

Klingt alles nach „Bullerbü“, also wie ein kindliches Fantasia.
Ist es au
f der einen Seite auch, denn es ist ganz anders als in
vielen gesichtslosen Neubauquartieren. Auf der anderen Seite wirkt
der neue Stadtteil großzügig, modern und vor allem belebt. Autos
haben die Nordhafen-Kopenhagener schon auch noch, allerdings weniger
als im dänischen Durchschnitt. Und sie sind in einem Quartiers-Parkhaus
separiert. In diesem Parkhaus finden sich daneben auch etliche
Sharing-Fahrzeuge: vom Lastenrad über das E-Auto bis zum Kleintransporter.

Wir sehen ein lebenswertes neues Viertel außerhalb der gewachsenen Innenstadt,
das Rezept dafür ist bekannt, aber bisher kaum umgesetzt – die Ingredienzen
sind: Ein öffentlicher Raum, der vielfältig genutzt wird, die Nähe von Wohnen,
Arbeiten, Einkaufen und Freizeit, strikte Geschwindigkeitsbeschränkungen für
den motorisierten Verkehr und eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr
und vor allem die Abwesenheit von Autos und ein sehr eingeschränkter Lieferverkehr.

Entscheidend sind klare Regeln, die auch kontrolliert werden. Klare Regeln gelten
übrigens auch für den gewonnenen öffentlichen Raum: keine Saufgelage, kein Grillen
und keine rasenden Roller. Das „moderne Bullerbü“ kann ganz real sein, aber es
braucht Regeln.

 

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