Männer, Frauen und wie der ÖV sie erreichen kann

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Ein Beitrag von Franziska Zehl

Franziska Zehl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der
Forschungsgruppe Digitale Mobilität und erforscht im Projekt
MOBICOR die Mobilität zu Zeiten der Corona-Pandemie.
Besonders
interessiert Sie dabei die derzeitige Lage des
öffentlichen
Verkehrs. Sie pendelt zwischen Würzburg/Bayern
und Berlin und
erlebt so die Unterschiede in der Vielfältigkeit
und Bedeutung
des öffentlichen Verkehrs in der Metropole Berlin
und der 128.000
Seelen Stadt Würzburg im direkten Vergleich.

 


Männer, Frauen und wie der ÖV sie erreichen kann

Der Öffentliche Verkehr (ÖV) hat in der Corona-Pandemie viele Fahrgäste verloren. Ein Anfang September 2021 auf heise.de veröffentlichter Artikel bringt so manche Gemüter zum Kochen. Das Thema: der ÖV, seine Defizite und wie die Pandemie diese endgültig offenlegt. Die rund 1.000 Kommentare zeigen nicht nur, wie sehr die Menschen die missliche Lage des ÖV beschäftigt. Auch beinhalten sie teils konstruktive Verbesserungsvorschläge, die so manches Verkehrsunternehmen gelesen haben sollte.

Darüber hinaus fällt bei den Kommentaren auf, dass es vor allem Männer sind, die sich im Forum des auf Informations- und Telekommunikationstechnik fokussierten Nachrichtendienstes Heise-Online tummeln. Diese Tatsache ist beim Thema ÖV durchaus problematisch. Schließlich sind es Frauen, die im Alltag häufiger Bus und Bahn nutzen und somit mindestens genauso viel zur Thematik beizutragen hätten. Daran hat auch Corona nichts geändert, wie die repräsentativen Daten der jüngsten MOBICOR-Welle belegen: nur 15 Prozent der Männer, aber 21 Prozent der Frauen über 16 Jahre waren im Mai 2021 mindestens wöchentlich im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) unterwegs.

Geschlechterblinde Forschung

Genau wie in der Diskussion unter dem erwähnten Heise-Artikel, fehlt aber auch in der soziologischen Mobilitätsforschung eine geschlechtersensible Perspektive auf Alltagsmobilität im Allgemeinen und den ÖV im Speziellen. Nach wie vor sind Motivlagen, Belange und Bedürfnisse von Frauen stark unterbelichtet. Das zeigt sich unter anderem daran, dass immer noch viel zu selten (Befragungs-)Daten zum Thema Mobilität getrennt nach Geschlecht analysiert werden.

Frauen waren und sind dem ÖV zugewandter

Setzt man hingegen eine geschlechtersensible Analyse-Brille auf und schaut sich zunächst Daten aus der vor-Corona-Zeit an, fallen tatsächlich Unterschiede in den Einstellungen von Männern und Frauen gegenüber dem ÖV auf.

Befragte ab 16 Jahren im Mai 2017 (Studie Mobilität in Deutschland)
Angaben in Prozent

Im Vergleich zu Männern, sind Frauen dem ÖV insgesamt zugewandter. Schließlich nutzten 37 Prozent der Frauen aber nur 31 Prozent der Männer in der Zeit vor Corona gerne Bus und Bahn. Und auch für die Zeit nach Corona ist zu vermuten, dass Frauen wieder stärker als Männer auf den ÖV setzen. Schließlich zeigt sich in einer repräsentativen MOBICOR-Vertiefungsstichprobe aus dem Oktober 2020 für das Land Bayern: 51 Prozent der Frauen aber nur 44 Prozent der Männer hielten es für (sehr) wahrscheinlich, dass sie den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nach der Pandemie wieder stärker nutzen. Ein ähnliches Bild zeigt sich für Baden-Württemberg. Hier gaben 54 Prozent der Frauen und 48 Prozent der Männer an, (sehr) wahrscheinlich den ÖPNV nach Corona wieder stärker zu nutzen.

Unterschiedliche Anforderungen an den ÖV

Dabei müssten Verkehrsbetriebe gar nicht bis nach der Pandemie warten, um vor allem Kundinnen wieder für sich gewinnen zu können. Danach gefragt, welche Maßnahmen dazu beitragen könnten, dass der ÖPNV auch während der Pandemie häufiger genutzt wird, sind es gerade Frauen, für die mehr Sauberkeit und Platz in den Fahrzeugen entscheidend sein könnten. Männer zeigen sich hingegen deutlich unbeeindruckter von den vorgeschlagenen Maßnahmen. Mehr als die Hälfte der befragten Männer hat generelle Vorbehalte und könnte durch keine der abgefragten Maßnahmen dazu bewegt werden, den ÖPNV während der Pandemie häufiger zu nutzen.

MOBICOR-Vertiefungsstichprobe Bayern (BY; N = 1.011) und Baden-Württemberg (BW; N = 1.023), Angaben in Prozent; Mehrfachnennungen möglich.

Dass Männer und Frauen unterschiedliche Anforderungen an den ÖV haben, zeigt sich auch mit Blick auf die Gründe, Busse und Bahnen während der Pandemie zu meiden. Corona und die Angst vor Ansteckung sind für Frauen tendenziell entscheidender als für Männer. Für Männer sind schlechte Verbindungen und Taktungen ausschlaggebender für die Meidung des ÖV.

Befragte, die im Mai 2021 den ÖV meiden (N = 810) aus der bundesweiten MOBICOR-Stichprobe, Angaben in Prozent; Mehrfachnennungen möglich.

 

Vor dem Hintergrund, dass weniger drastische Veränderungen wie mehr Hygiene in den Fahrzeugen also gerade Frauen dazu bringen könnten, den ÖV mehr zu nutzen, täte dieser gut daran diese Verbesserungen endlich anzugehen. Nicht zuletzt angesichts der nach wie vor katastrophalen Nutzendenzahlen. Gerade jetzt, mit Blick auf die aktuellen Diskussionen um die Einführung von 3G, 2G oder anderen hygienischen Schutzmaßnahmen in Bussen und Bahnen, würde der ÖV mit solchen Maßnahmen vor allem den Frauen als wichtige Kundinnengruppe entgegenkommen. Abgesehen davon wird es für den ÖV aber auch in einer Zeit nach Corona entscheidend sein, die Existenz geschlechtsspezifischer Erwartungen an seine Dienste anzuerkennen und auf diese einzugehen. Die soziologische Mobilitätsforschung steht dabei ihrerseits in der Pflicht, entsprechende Daten zu liefern.

 

 

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