Bild: Steve Jurvetson/​Wikimedia Commons

Die Jagd auf Tesla wiederholt sich als Farce

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Ein Beitrag von Timo Daum

 

 

Timo Daum ist Gast der Forschungsgruppe
Digitale Mobilität. Er ist Promotions­stipendiat
der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Rolle von
Tesla bei der disruptiven Elektri­fizierung der Auto­branche.

 

 


Die Jagd auf Tesla wiederholt sich als Farce

Die existenzielle Krise der deutschen Autobranche wirft die Frage auf, warum die jahrzehntelang global maßgebliche Industrie so schnell und so massiv ins Hintertreffen geriet. Woran scheiterten die selbsternannten Tesla-Jäger?

Vor rund zehn Jahren machte in der Autoindustrie der Slogan vom Tesla-Jäger die Runde. Als Reaktion auf Teslas neues Model S machten sich damals die deutschen Hersteller daran, mit eigenen Fahrzeugen dem kalifornischen Herausforderer Paroli zu bieten – nach dem Motto: “Wir können das auch, und zwar viel besser!”

So einfach war es dann aber doch nicht. Der Branche ist es bis heute nicht gelungen, Tesla technisch und beim Markterfolg einzuholen. Schlimmer noch, die deutschen Hersteller haben vermutlich ihren “Vorsprung durch Technik” – so ein Werbespruch von Audi – dauerhaft eingebüßt. Und der Golf des Elektrozeitalters kommt wohl eher aus China denn aus Wolfsburg.

Das Bild vom Tesla-Jäger tauchte zuletzt in anderer Form wieder auf: Mit Tempo 220 über die Autobahn rasen und Teslas jagen – das wünscht sich ein Autoarbeiter. Ein entsprechendes Zitat findet sich in einer Studie des Arbeitssoziologen Klaus Dörre, veröffentlicht Ende 2023 unter dem Titel “Klasse gegen Klima? Transformationskonflikte in der Autoindustrie”.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden gut zehn Jahre auseinanderliegenden Jagd-Szenen? Anders ausgedrückt: Wie kam es zu diesem radikalen Bedeutungswandel der Formel “Jagd auf Tesla” in gerade mal einem Jahrzehnt?

2012: Die Jagd ist eröffnet

Im Jahr 2012 begann Tesla mit der Produktion seines Model S, einer viertürigen Luxuslimousine. Es war das erste und blieb lange das einzige Elektroauto in dieser Fahrzeugklasse. In puncto Geschwindigkeit, Kilometerleistung, Handling und Stauraum konnte es das Model S mit den sogenannten Premium-Produkten gerade deutscher Hersteller durchaus aufnehmen.

Das Model S war in den USA ein Riesenerfolg. Im Mai 2013 wurde das Auto dort zur meistverkauften Luxuslimousine. Im zweiten Quartal 2013 verkaufte Tesla in den USA in diesem Segment mehr Autos als Mercedes-Benz, BMW und Audi zusammen.

Diese Entwicklung blieb auch in Deutschland nicht unbemerkt. Auto-Journalisten äußerten sich anerkennend über das Fahrzeug, die FAZ schrieb damals, mit dem Model S werde Tesla zum “ernsthaften Gegenspieler für Marken wie Lexus, Infiniti und vielleicht irgendwann sogar mal Mercedes-Benz oder BMW”.

Das konnten die deutschen Hersteller nicht auf sich sitzen lassen. Sie nahmen die Herausforderung an und machten sich ans Werk. Bei Volkswagen wurde auf höchster Ebene beschlossen, einen “Tesla-Jäger” zu projektieren, bei den süddeutschen Premium-Herstellern begann man seinerseits, an “Tesla-Fightern” zu arbeiten.

Man war sich sicher, dass man ohne Probleme weit überlegene Fahrzeuge würde liefern können. Zumal die Ingenieure über die Qualität des Model S die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Gemessen an den Kriterien der einheimischen Autobauer-Zunft – Spaltmaße, Anmutung oder auch Produktionsstandards – sei das Model S eine Katastrophe, so die einhellige Meinung.

Jägerlatein

Audi stellte schließlich seinen “Tesla-Jäger”, den Audi e‑tron quattro concept, auf der Autoschau IAA 2015 in Frankfurt am Main vor. Volle drei Jahre waren vergangen, zu sehen war aber nur ein Konzeptfahrzeug. Vier weitere Jahre sollten ins Land gehen, bis bei Audi 2019 der erste vollelektrische E‑tron-SUV vom Band lief.

Trotz dieses deutlichen Hinterherhinkens war man in den Chefetagen der deutschen Hersteller zu jeder Zeit überzeugt, ganz vorn zu sein. Und Tesla wurde regelmäßig kleingeredet. So sagte VW-Chef Matthias Müller im Oktober 2017: “Also jetzt muss ich dann doch einen Satz zu Tesla sagen. Bei allem Respekt. Es gibt auf dieser Welt Ankündigungsweltmeister. Es gibt Unternehmen, die verkaufen mit Mühe 80.000 Autos pro Jahr. Volkswagen – elf Millionen in dem Jahr.”

Aber es ging den Autochefs nicht darum, jetzt endlich mit der E‑Mobilität ernst zu machen. Zu jener Zeit war die Skepsis gegenüber der künftigen Verbreitung von Elektroautos noch allgegenwärtig und der branchenweite Dieselbetrug in vollem Gange, aber noch nicht aufgeflogen. Man wollte nur zeigen, dass man es auch kann, und dann zur (diesel- und benzinbetriebenen) Tagesordnung übergehen.

2024: Die Jagd ist gescheitert

Ein Sprung in die Gegenwart. Tesla ist in der Zwischenzeit zum zweitgrößten E‑Autohersteller der Welt geworden und fertigt mehr E‑Autos als alle deutschen Hersteller zusammen.

Das Model Y ist das meistverkaufte Auto weltweit. Zwölf Jahre nach 2012 ist Tesla immer noch da und gilt nach wie vor als technologisch führend in wesentlichen Bereichen der E‑Mobilität. Und Tesla produziert gewinnbringend vor den Toren Berlins im “Hochlohnland” Deutschland. Möglicherweise hat die Tesla-Ansiedlung auch dazu geführt, dass die AfD wider Erwarten nicht stärkste Partei bei den Landtagswahlen in Brandenburg geworden ist.

Tesla zu jagen – davon ist in der deutschen Autoindustrie keine Rede mehr. Sie hat das Rennen um die elektrische Zukunft aufgegeben und produziert nach wie vor in erster Linie Fahrzeuge, die mit einem Verbrennungsmotor ausgestattet sind. Bei der Volkswagen Group sind es immer noch über 90 Prozent.

Wie der VW-Konzern in den verbleibenden elf Jahren bis zum Verbrenner-Ausstieg in der EU 2035 auf 100 Prozent E‑Autos kommen will, bleibt das Geheimnis des Managements. Vermutlich wird dies nur mit einem erheblichen Rückgang bei den Stückzahlen möglich sein. Das Institut der Deutschen Wirtschaft befürchtet daher, dass die Tage der Automobilindustrie als Wachstumslokomotive gezählt sind.

Als Folge droht “der Auto- und Zulieferindustrie ein ähnliches Schicksal wie zuvor der Textilindustrie, dem Bergbau oder der Stahlbranche”. Was der Soziologe Dörre vor zwei Jahren noch als Frage formulierte, deutet sich heute als wahrscheinliches Szenario an. So, wie die großen Pferdekutschen-Hersteller des 19. Jahrhunderts, die heute keiner mehr kennt, von Start-ups wie Daimler und Benz seinerzeit ausgehebelt wurden, werden auch diese nun bald den Laden dichtmachen müssen.

Die Jagd verlagert sich auf die Autobahn

Die Jagd auf Tesla aber begegnet uns heute wieder: Klaus Dörre berichtet in seiner eingangs erwähnten Studie von einem Arbeiter bei Opel in Eisenach, der im Interview erklärte, “er sei ‘Autonarr’ und empfinde große Freude dabei, seinen Pkw auf ‘über 220 km/h zu tunen’, um auf der Autobahn Teslas zu jagen, bis diese ‘mit überhitztem Motor von der Spur müssen’.” Der zitierte Gewerkschafter macht zudem deutlich, er werde sich sein Hobby “von niemandem nehmen lassen”.

Ein solches Ausleben fossiler Grenzüberschreitung ist ein Paradebeispiel für eine Haltung, die die Politikforscherin Cara Daggett als “Petromaskulinität” bezeichnet. Das ist eine extrem in die Defensive geratene Maskulinität, die ihre Verunsicherung durch offensiv zur Schau gestellte Verschwendung fossiler Brennstoffe zu kompensieren sucht.

Klaus Dörre und seine Koautor:innen Steffen Liebig, Kim Lucht und Johanna Sittel stellen in ihrer Studie denn auch eine “tiefgreifende Verunsicherung und Unzufriedenheit” fest, die “von den anstehenden und bereits stattfindenden Umwälzungen in der Industrie” ausgeht.

Der Grund für solch ein toxisch-asoziales Verhalten liegt jedoch nicht bei den Beschäftigten selbst. Sind sie doch grundsätzlich bereit für eine Transformation und haben mehrheitlich sogar “Lust auf Elektromobilität”, was beispielsweise die Soziologin Sabine Pfeiffer und Kolleg:innen in einer großangelegten Studie bei Volkswagen herausgefunden haben, und ähnlich auch Jörn Boewe, Stephan Krull und Johannes Schulten in einer Befragung von Beschäftigten der Autoindustrie.

Technologisches Scheitern und gesellschaftlicher Frust

Der tiefere Grund für die Unzufriedenheit und Verunsicherung liegt im Abschied der Führungsriege der deutschen Autoindustrie vom “Vorsprung durch Technik”, in der Abkopplung von der Elektrifizierung und Digitalisierung.

Haben doch die Führungskräfte der Branche, sekundiert durch Verbände und Politik, die Elektrifizierung verzögert, behindert, madig gemacht. Daher sind die deutsche Autoindustrie und ihre Sekundanten in Politik und Verbänden mitverantwortlich für das reaktionäre gesellschaftliche Klima, exemplarisch anzuschauen dieser Tage bei Ex-Minister Sigmar Gabriel von der SPD, der das Verbrennerverbot der EU kritisiert und die Umweltbilanz des Diesels lobt, wie der Spiegel berichtete.

Die deutschen Manager haben nur halbherzig zur Jagd auf Tesla geblasen, sie haben nicht wirklich versucht, die systemische Innovation Elektroantrieb konsequent anzugehen. Ganz zu schweigen von über den bloßen Antriebswechsel hinausgehenden Innovationen in Richtung einer Verkehrswende-Industrie.

Die erste Jagd ist also in den zurückliegenden Jahren gescheitert. Das ist eine Tragödie für die deutsche Autoindustrie. Offenbar wiederholt sich die Geschichte jetzt, allerdings – dem berühmtem Diktum von Karl Marx folgend – als Farce.

Und die Beschäftigten reagieren zum Teil mit einer Wiederholung der Geschichte als Tragödie, einer Jagd auf E‑Autos auf der Überholspur der Tempolimit-freien Autobahn, dem letzten infrastrukturellen und regulatorischen Exzellenz-Ort, wo Deutschland noch vorne ist …

(Dieser Beitrag erschien ebenfalls in unserem Dossier #Antiblockiersystem auf klimareporter.de)


 

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