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Nachhaltige Mobilität: Warum der Bildungsgrad entscheidend ist.

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Ein Beitrag von Sarah George

 

Sarah George ist Research Fellow in der Forschungsgruppe
“Ausbildung und Arbeitsmarkt” und Doktorandin an der
Universität Hamburg. In ihrem Dissertationsprojekt
fokussiert sie sich auf sozialräumliche Disparitäten
in deutschen Städten und ihre Bedeutung für nachhaltige
Mobilität.

 

 


Nachhaltige Mobilität:

Warum der Bildungsgrad entscheidend ist

Menschen mit Hochschulabschluss haben es oft leichter, in ihren Alltagswegen umweltfreundlich unterwegs zu sein – und das liegt nicht nur an ihrem Umweltbewusstsein oder ihrer finanziellen Lage. Ein entscheidender Faktor ist, wo sie wohnen: Häufig zentral, gut angebunden und mit kurzen Wegen. Unsere aktuelle Analyse zum Zusammenhang von alltagtäglichem Verkehrsverhalten und der Lebens- und Wohnsituation zeigt, dass diese räumlichen Vorteile einen großen Einfluss auf nachhaltiges Mobilitätsverhalten haben.

Zentrale Wohnlagen, kürzere Wege

Wer in der Nähe des Stadtzentrums wohnt, hat es leichter, weil viele Alltagsziele nicht so weit weg sind. Einkäufe, Freizeitaktivitäten oder der Weg zur Arbeit sind schneller erledigt – oft sogar ohne Auto. Davon profitieren besonders Menschen mit Hochschulabschluss: Sie wohnen dreimal häufiger in Großstädten als Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss und dort oft in zentraleren Lagen. 2017 lebten Akademiker:innen im Schnitt 1,53 Kilometer näher am Stadtzentrum als Menschen ohne Abitur. Das macht im Alltag einen großen Unterschied. Für sie ist die „Stadt der kurzen Wege“ kein Schlagwort, sondern eine angenehme Tatsache.

Konkret sind die Alltagswege von höher Gebildeten, je nach Wegezweck, zwischen 11 und 20 Prozent kürzer als die von formal Niedriggebildeten. Diese Zeitersparnis ermöglicht es ihnen, häufiger auf langsamere, aber umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie das Fahrrad, den öffentlichen Nahverkehr oder auf zu Fuß gehen umzusteigen. Für Arbeitswege zeigt sich bisher kein Unterschied, doch gerade höhergebildete Personen können häufig im Homeoffice arbeiten und Arbeitswege ganz einsparen.

Nachhaltigkeit: Eine Frage der Privilegien?

Es wird also deutlich, dass nachhaltige Mobilität im Alltag oft weniger eine bewusste Entscheidung ist, sondern schlicht mit dem privilegierten Zugang zu zentralen Stadtlagen zu tun hat. Sie können sich umweltfreundlicher bewegen, weil sie sich eine günstig gelegene Wohnung leisten können.  Wir sehen, wie sich dadurch unterschiedliche Erfahrungswelten entwickeln. Privilegierte können nachhaltige Mobilitätsentscheidungen mit geringeren zeitlichen Kosten leichter treffen, weniger Privilegierte jedoch nicht. Das erschwert einen gesellschaftlichen Konsens, den die Mobilitätswende braucht. Klimafreundliche Mobilität kann so zu einem weiteren Unterscheidungsmerkmal sozialer Gruppen werden.

Die Chancenunterschiede in der persönlichen Gestaltung der Mobilität führen aber auch dazu, dass die einen mehr und die anderen weniger tatsächliche Handlungsoptionen haben. Wer alles schnell und einfach erreichen kann, muss das Auto nicht benutzen und kann eine schlechte Anbindung durch den Öffentlichen Verkehr ignorieren. Wer weite (Zwangs-)wege (wie zum Beispiel Arbeitswege) bewältigen muss, ist schnell vom eigenen Auto abhängig – gerade wenn es keine akzeptablen Bus- und Bahnverbindungen gibt.

Privilegierte Wohnsituationen formal Höhergebildeter erklären zumindest teilweise, warum verkehrspolitische Maßnahmen zugunsten von Zufußgehen und Fahrradfahren oftmals so umkämpft sind und bei formal niedrig Gebildeten und Geringverdienenden auf Ablehnung stoßen. Sie sind ein Ausdruck sozialer Auseinandersetzungen um Alltagshandeln und ihre gesamtgesellschaftliche Deutung.

Bis hierhin geht es allerdings nur um die Alltagsmobilität. Warum das, gerade bei formal Höhergebildeten, eher performativ ist, zeigt sich besonders deutlich bei Urlaubsreisen. Menschen mit höherer Bildung und Einkommen fliegen häufiger mit dem Flugzeug in den Urlaub. Ihre im Alltag eingesparten Emissionen werden dadurch mehr als kompensiert.

Dieses Phänomen lässt sich auch als Ausdruck eines kulturellen Distinktionsmechanismus deuten, wie ihn etwa der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt. Bestimmte soziale Milieus sind weniger durch materielle Faktoren als durch kulturelle Distinktion geprägt. Gerade die akademisch geprägte Mittelklasse inszeniert sich über ästhetische Lebensstile, die einerseits Nachhaltigkeit und Verzicht in der Alltagsmobilität betonen, andererseits aber exklusive Erlebnisse und individuelle Selbstverwirklichung durch Reisen und globalen Konsum in den Vordergrund rücken.

Auch der Wissenschaftler Steffen Mau beschreibt in „Triggerpunkte“ (2022) gesellschaftliche Spaltungslinien, die sich unter anderem in einem neuen Kulturkampf um Nachhaltigkeit zeigen. Ökologisches Bewusstsein wird in bestimmten Milieus als Zeichen moralischer Überlegenheit inszeniert. So wird die Debatte um Nachhaltigkeit nicht nur zu einer ökologischen, sondern auch zu einer sozialen und kulturellen Auseinandersetzung.

Die Frage ist also nicht nur, wer sich nachhaltige Mobilität leisten kann, sondern auch, wie sich diese kulturellen Muster in politischen und gesellschaftlichen Konflikten niederschlagen. Wer darf fliegen? Wer soll verzichten? Und wer definiert, was als nachhaltiges Verhalten gilt?

(Die ganze Studie ist hier nachzulesen)

Datenbasis

Unsere Untersuchung, gefördert vom BMBF, basiert auf Daten der Studie Mobilität in Deutschland aus den Jahren 2002 und 2017. Insgesamt umfasst unsere Analyse 16.419 Wege von 4.168 Personen im Jahr 2002 sowie 102.774 Wege von 26.036 Personen im Jahr 2017. Die Daten sind repräsentativ für deutsche Bewohner:innen in großen Städten im Alter von 18 bis 59 Jahren.


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