Regeländerung: Die Verhältnisse zum Tanzen bringen

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Ein Beitrag von Andreas Knie

 


Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität
und gesellschaftliche Differenzierung
am WZB. Er sagt:

” Um die Probleme unserer Zeit zu lösen und Innovationen zu
entwickeln, brauchen wir mehr Trial und Error, mehr kontrollierte
Grenzüberschreitungen. Auf legalem Weg ist eine Transformation
nicht zu machen”

 

 


Regeländerung: Die Verhältnisse zum Tanzen bringen

Jan Böhmermann hat es uns eigentlich schon vorgemacht. Wie können Regeln verändert werden? Das Beispiel Auto zeigt ja, dass eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen das Auto ganz bewusst privilegieren, damit es populär wird und sich möglichst viele Leute Autos kaufen und damit auch weite Strecken fahren können. Die Politik stammt noch aus den 1950er Jahren und keines dieser Gesetze ist bis heute abgeschafft worden. Selbst der Bundesverkehrswegeplan beruht in seinen wesentlichen Planungs- und Entscheidungsgrundlagen auf Prämissen der 1960er Jahre und legt für die nächsten Jahrzehnte Bauvorhaben fest.

Im Ergebnis haben wir damit eine Verkehrspolitik, deren Ziele und Instrumente aus einer längst vergangen Zeit stammt. Denn das Staatsziel, alle sollen sich Autos leisten können, ist nahezu erreicht, aber die Folgen für das Klima, für die Gesundheit von Mensch und Tier werden mittlerweile kritisch eingeschätzt. Es wäre also Zeit für eine Anpassung.

Doch wie?

Zurück zu Böhmermann: Er hat einen ausländischen Staatslenker mit den unflätigsten Beschimpfungen versehen und damit gegen einen noch bestehenden Paragraphen des Strafgesetzbuches (StGB) verstoßen. Böhmermann wurde wegen Beleidigung einer ausländischen Staatsmacht angeklagt. Damit war einer breiten Öffentlichkeit dieser Sachverhalt überhaupt erst bekannt geworden.

Die Aktion Böhmermann hat dazu geführt, dass die Absurdität dieses aus der Zeit gefallenen Straftatbestandes offenkundig und sichtbar wurde. Längst Schnee von gestern, mündige Gesellschaften brauchen so etwas nicht. Das Ergebnis: Der Prozess gegen Böhmermann blieb zwar bestehen, aber in einem für die deutsche Verwaltung Rekordtempo war der Paragraph aus dem Strafgesetzbuch verschwunden.

Auf den Verkehr übertragen könnte der analoge Plan folgendermaßen funktionieren: Menschen besetzen öffentliche Parkräume nicht mit Autos, sondern mit Fahrrädern, Roller, mit Tischen und Stühlen oder mit anderen Gegenständen. Gastronomen erweitern ihre Stellflächen und bieten Plätze auf Parkplätzen an, der Einzelhandel verkauft Waren auf den Stellflächen.

Was wird passieren?

Das Ordnungsamt wird einschreiten, die Räumung anmahnen und wenn dem nicht Folge geleistet wird, saftige Strafen aussprechen. Denn das Parken von Autos auf öffentlichen Straßen gehört zum Gemeingebrauch, man hat sozusagen ein Recht darauf. Wenn die Besetzung nicht geräumt wird, dann wird sicherlich ein betroffener Anwohner dieses Recht vor einem Verwaltungsgericht einklagen und feststellen lassen wollen, dass die öffentlichen Parkstreifen nicht für eine gemütliche Sitzecke oder den Verkauf von Speisen und Getränken genutzt werden dürfen, sondern ausschließlich für das Abstellung von Kraftfahrzeugen. Selbst wenn diese überhaupt nicht genutzt werden und einfach als private Mobilitätsreserve funktionieren.

Was würde wohl ein Verwaltungsgericht entscheiden?

Der Begriff „Gemeingebrauch“ ist ja interpretationsbedürftig und es gibt keine immer und für alle Zeiten gültige Definition. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung zu einer wesentlich konsequenteren Klimaschutzpolitik verpflichtet. Nach einer repräsentativen Umfrage des WZB sind zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg für die komplette Abschaffung privater Parkplätze im öffentlichen Raum.

Gut, Kreuzberg ist nicht Berlin und Berlin nicht Deutschland. Es könnte aber sein, dass ähnlich wie im Fall Böhmermann die Absurdität für alle öffentlich sichtbar wird, nämlich das Recht ein privates Auto auch im Jahre 2021 in Berlin immer noch auf öffentlichen Flächen abzustellen – auch wenn man es gar nicht oder nur gelegentlich nutzt. Vielleicht würde ein Gericht ja sogar eine “Sprungrevision” der streitenden Parteien zulassen und vielleicht würde das Bundesverwaltungsgericht den Gemeingebrauch des privaten Parkens neu definieren.

 

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Der Unterschied zwischen geparkten Autos und Sitzflächen ist der, dass das erste als (ruhender) „Verkehr“ betrachtet wird, das andere als „Sondernutzung“. Und Straßen dienen in erster Linie dem „Verkehr“, alles andere muss extra ausgewiesen werden (Spielstraßen/Fußgängerzonen etc.). Insofern bin ich nicht zuversichtlich, dass Gerichte – erst recht, wenn die Richter, bzw. Richterinnen, Interpretationsspielraum haben und dort Personen entscheiden, die auch persönliche Vorlieben haben – überhaupt im Sinne der „Besetzer“ urteilen oder dass ein solches Urteil weitreichende politische Folgen haben wird. Immerhin ist die Minderheit der Parkplatzverteidiger ziemlich laut und bis in höchste Kreise gut vernetzt und organisiert, wie man anhand der Petition „Führerschein-Falle der #StVO-Novelle rückgängig machen“ sehr gut sehen kann (vergleiche dazu die Gegenpetition „Verkehrssicherheit erhöhen, StVo Novelle beibehalten“).

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