Ein Beitrag von Weert Canzler

 

 

Weert Canzler ist Co-Leiter der Forschungsgruppe
Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Knie wurde
er 2021 mit dem Bertha-und-Carl-Benz-Preis der
Stadt Mannheim ausgezeichnet.

 

 

 


Schneller Fehler machen

Die FDP verlangt danach, viele neue Autobahnen viel schneller bauen zu lassen. Das ist zwar klima-, verkehrs- und infrastrukturpolitisch absurd – die merkwürdige Logik von Regierungskoalitionen könnte aber dazu führen, dass die FDP am Ende mit ihrer Forderung durchkommt.

In der Ampelkoalition möchte der kleinste Partner endlich Druck machen. Es soll schneller gehen im Verkehr. Aber nicht beim 49-Euro-Ticket, nicht bei der Bahn, nicht beim Radwegenetz, auch nicht bei der Parkraumbewirtschaftung oder bei der Elektrifizierung der Fahrzeuge.

Schneller soll es gehen beim Autobahnbau. Gemäß der jüngsten und noch immer geltenden Bedarfsplanung von 2016(!) sollen 540 Kilometer Autobahnen neu oder ausgebaut werden, darunter die restlichen Kilometer der “Küstenautobahn” A20, die großenteils durch Moorgebiete führen soll, und die A39 durch das ländliche Ostniedersachsen. Dutzende Erweiterungen bestehender Autobahnen sind vorgesehen, darunter viele Lückenschlüsse und Fahrstreifenerweiterungen. Vieles davon befindet sich in der Planung. Die dauert bekanntlich. Bei allen Verkehrsbauten, auch bei Autobahnen.

Geht es nach der FDP, sollen die Planungszeiten für neue Autobahnen halbiert werden. Die Planung der Terminals für Flüssigerdgas (LNG) an der Nordseeküste habe gezeigt, dass das möglich sei. Wie begründet die Partei ihre Forderung? Eigentlich gar nicht. Außer mit dem eher lapidaren Satz, dass “die Straße auch in Zukunft eine Rolle spielen wird”. Nun ja, das wird sie. Aber das bedeutet ja nicht, das bereits üppige Autobahnnetz weiter zu vergrößern. Außer einer wahltaktisch motivierten Positionierung der Partei gibt es keine Begründung.

Die Forderung nach einem schnelleren Autobahnbau ist nicht nur klimapolitisch absurd, sie widerspricht auch allen verkehrs- und infrastrukturpolitischen Zielen der Ampelregierung. Denn im Koalitionsvertrag ist zum einen klar und deutlich formuliert, dass es eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene und auf den Fuß- und Radverkehr geben soll. Dafür braucht es nicht mehr, sondern weniger Autostraßen.

Zum anderen ist mehrfach im Vertrag festgeschrieben, dass der Verkehr insgesamt effizienter werden und die Chancen der Digitalisierung nutzen soll. Nun könnten wir ganz entspannt auf die Substanzlosigkeit der Forderung und die offensichtliche parteitaktische Intention dahinter setzen und beruhigt sein. Doch leider könnte der FDP-Vorstoß trotzdem ein unerfreuliches Momentum erhalten.

Ohne Straßenbau-Stopp kein Klimaschutz im Verkehr

Denn zum einen kann der besondere Zwang zum Kompromiss in der Ampelkoalition im Einzelfall auch zu widersprüchlichen oder gar kontraproduktiven Ergebnissen führen. Da werden dann gleichzeitig das Bahnnetz, Fahrradwege und Autobahnen ausgebaut. Das wäre etwa so, als würde im Bereich der Landwirtschaft gleichzeitig die Mehrwertsteuer sowohl auf Bio-Lebensmittel als auch auf Produkte aus der Massentierhaltung gesenkt und obendrauf das Reinheitsgebot beim Bier aufgehoben. Keinesfalls konsistent, aber möglich.

Zum anderen ist – ganz unabhängig von den Absurditäten der Ampelarithmetik – der Neu- und Ausbaumechanismus beim Straßenbau eine schwere Erblast aus mehr als sechs Jahrzehnten Verkehrspolitik. Seit Ende der 1950er Jahre war Verkehrspolitik in Deutschland Straßenbaupolitik. Das Zerschneiden von rot-weißen Absperrbändern zur Eröffnung neuer Straßen war über Jahrzehnte das ikonische Bild dieser Politik.

Die Bundesverkehrswegepläne seit den 1970er Jahren haben diesen Neu- und Ausbauzwang fortgeschrieben und in Legislaturen übergreifende Investitionsfestlegungen überführt. Bis heute. Auch der aktuelle Bundesverkehrswegeplan sieht Verkehrswachstum vor – und Wachstum von Straßen. Allen verkehrspolitischen Zielen zum Trotz. Vom Klimaschutz ganz zu schweigen.

Solange wir keine grundlegende Revision dieser Planungsgrundlagen haben, hat der FDP-Vorstoß alle Chancen, realisiert zu werden. Er wird ein Beschleunigungsschritt der besonderen Art sein, nämlich schneller Fehler zu machen. Gerade weil der Verkehrssektor, und das ist nun einmal zu vier Fünfteln der Straßenverkehr, das Sorgenkind des Klimaschutzes ist, kann es für seine Infrastruktur nur eines geben: ein Moratorium.

Und zwar ein umfassendes Moratorium: Keine neuen Straßen und am wenigsten neue Autobahnen. Keine weitere Subventionierung von Dienstwagen, langen Pendelstrecken und Dieselkraftstoff. Schließlich keine weitere Begünstigung des Parkens privater Fahrzeuge im öffentlichen Raum.

(Dieser Beitrag erschien ebenfalls in unserem Dossier das #Antiblockiersystem auf klimareporter.de)


 

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