
Klima-Volksentscheid: Nach dem Scheitern ist vor dem Handeln
Ein Beitrag von Weert Canzler
Weert Canzler ist Co-Leiter der Forschungsgruppe
Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Knie wurde
er 2021 mit dem Bertha-und-Carl-Benz-Preis der
Stadt Mannheim ausgezeichnet.
Klima-Volksentscheid: Nach dem Scheitern ist vor dem Handeln
Es nützt nichts, die Klimakrise zu verdrängen, wie es Berlin beim Volksentscheid getan hat. Bei aller verständlichen Frustration in der Klimabewegung: Es bestehen Chancen für konkreten Klimaschutz in der Stadt – überall, wo die politische Situation es zulässt.
Der Klima-Volksentscheid ist vorbei. Immerhin. 440.000 Berlinerinnen und Berliner haben für einen ehrgeizigen Klimaschutz gestimmt. Mehr Stimmen, als die CDU bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus erhalten hat. Aber fast ebenso viele haben dagegen gestimmt, vor allem am Stadtrand. In den Innenstadtbezirken sieht es besser aus, da gab es klare Mehrheiten für mehr Klimaschutz.
Viele haben sich aber gar nicht am Volksentscheid beteiligt, deswegen wurde der notwendige Anteil von einem Viertel Ja-Stimmen unter allen Wahlberechtigten nicht erreicht. Insgesamt ist das Begehren, gesetzlich zu verankern, dass Berlin nicht erst 2045, sondern schon 2030 keine Klimagase mehr ausstößt, gescheitert.
Nun ist beim Thema Klimaschutz im Land Berlin erst einmal die Luft raus. Der Druck auf dem Kessel ist weg. Projekte der Vergangenheit wie der Weiterbau der Stadtautobahn A100, der Bau einer ganz neuen autobahnähnlichen Straßenverbindung im Südosten – der sogenannten Tangentialen Verbindung Ost – und 70er-Jahre-Pläne zum U-Bahn-Ausbau kommen wieder auf die Agenda.
Benzin ins Feuer zu gießen wird ungestraft als verkehrsstrategisches Handeln verkauft. Das ist umso dramatischer, weil nur wenige Tage vor der Volksabstimmung der Weltklimarat IPCC auf Grundlage der jüngsten Klimadaten noch einmal deutlich gemacht hat, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit schneller wärmer wird und die Wetterturbulenzen stärker zunehmen als bisher angenommen. Die Lage ist schlimm, aber die Bereitschaft, darauf schnell und wirksam zu reagieren und den Klimaschutz zu verstärken, fehlt.
Es geht um Verhaltensänderungen und es wird teuer
Warum ist das so? Ein Grund ist sicher, dass mittlerweile allen klar ist, dass wir aus den fossilen Energien rausmüssen. Das ist nicht mehr nur eine abstrakte Forderung, sondern bedeutet, möglichst umgehend den Verbrennungsmotor loszuwerden und keine Gas- und Ölheizungen mehr einzubauen. Technisch ist das möglich. Es gibt genügend E‑Auto-Modelle, und zumindest für Ein- und Mehrfamilienhäuser ist eine Wärmepumpe eine funktionale und funktionierende Alternative. In Skandinavien werden längst fast zwei Drittel der Häuser mit einer Wärmepumpe beheizt, und da ist es selten wärmer als in unseren Breiten.
Für verdichtete Wohnsiedlungen und Gewerbebauten sind Wärmenetze oft sinnvoller als Wärmepumpen. Vielerorts sind geothermische Lösungen, also Wärme aus tieferen Erdschichten, eine realistische Option. In jedem Fall ist es sinnvoll, Gebäude und Wohnungen umfassend zu dämmen. Hier liegt das eigentliche Problem: Es muss in großem Stil umgerüstet und in neue Fahrzeuge sowie in Wärmepumpen und -netze investiert werden. Der Umstieg kostet und ist teilweise mit Verhaltensänderungen verbunden.
Beides ist bei vielen mit Ängsten und Unsicherheiten, oft auch mit reflexhafter Abwehr verbunden. Deswegen wird häufig ignoriert und darauf verwiesen, dass in anderen Regionen der Welt mindestens so stark oder sogar stärker gegen den Klimaschutz verstoßen wird, oder man wettet auf eine künftige technische Lösung. Die Neigung, beim Klimaschutz auf den Skat zu reizen, also auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, ist ziemlich verbreitet.
Mehrheiten für Klimaschutz in den Innenstadtbezirken
Die Klimakrise verschwindet nicht, wenn sie verdrängt wird. Sie verschärft sich derweil. Was nun? Bei aller verständlichen Frustration bei den Berliner Klimaschützer:innen, die engagiert die Kampagne des Volksentscheids geführt haben, kann doch die Konsequenz nur sein, mehr Klimaschutz umzusetzen, wo die politischen Mehrheiten es zulassen.
Das ist in den Innenstadtbezirken. Hier gibt es grüne und grün-rote Bezirksmehrheiten, hier gibt es engagierte Bezirksbürgermeister:innen und Stadträt:innen. Hier gibt es große Unterstützung der Bewohner:innen für einen konsequenten Klimaschutz und hier gibt es zugleich den stärksten Bedarf, sich vor Hitzeinseln und vor mehr Starkregen zu schützen. Die Bezirke innerhalb des S-Bahn-Rings können und sollten die Vorreiter bei einem ambitionierten Klimaschutz sein.
Bezirke können weder riesige Investitionen tätigen noch eine überfällige City-Maut einführen. Was sie tun können, ist vor allem, die Verkehrswende vor Ort voranzutreiben und den öffentlichen Raum resilienter gegen Hitzestaus und Regenmassen zu machen. Und das heißt: den Straßenraum neu aufteilen, mehr Platz für das Zufußgehen und Radfahren schaffen. Den Alternativen zum privaten Auto mehr Raum geben, also Busspuren einrichten, Sharing-Angeboten Platz einräumen und ein sicheres Radfahren und Zufußgehen ermöglichen. Daneben heißt das: entsiegeln, entsiegeln und entsiegeln.
Mit einigen dieser Maßnahmen wurde in den Innenstadtbezirken bereits begonnen, manchmal zaghaft, manchmal voller Elan. Jetzt kommt es darauf an, das Tempo zu erhöhen und die Aktivitäten in den verschiedenen Bezirken und Kiezen miteinander zu verknüpfen und sich gegenseitig zu unterstützen. Denn nach dem Scheitern des Klima-Volksentscheides liegt die ganze Verantwortung bei denen, die nicht verdrängen oder auf den Skat reizen wollen.
(Dieser Beitrag erschien ebenfalls in unserem Dossier das #Antiblockiersystem auf klimareporter.de)
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