Die wirtschaftsfeindliche Verkehrspolitik der Berliner CDU
Ein Beitrag von Weert Canzler
Weert Canzler ist Co-Leiter der Forschungsgruppe
Digitale Mobilität undgesellschaftliche Differenzierung.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Knie wurde
er 2021 mit dem Bertha-und-Carl-Benz-Preis der
Stadt Mannheim ausgezeichnet.
Die wirtschaftsfeindliche Verkehrspolitik der Berliner CDU
In Berlin will die CDU-geführte Verkehrsverwaltung wie ehedem Politik für das private Auto machen. Das wirkt nicht nur seltsam provinziell, es schadet auch der eigenen Klientel.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass das Land Berlin in den letzten Jahren über 13 Millionen Euro Bundesgelder für den Fahrradwegeausbau verfallen ließ. Gleichzeitig hat die CDU-geführte Verkehrsverwaltung die Planungen für Radfernwege fast vollständig gestoppt. Für schon längst fertig geplante Fahrradspuren in den Innenstadtbezirken stellt sie zusätzliche Anforderungen, um deren Umsetzung zu verhindern.
Auch für Jelbi, das intermodale Angebot der Berliner Verkehrsbetriebe, werden Mittel gekürzt. Obendrein werden Tempo-30-Abschnitte wieder zu 50er-Abschnitten zurückgestuft, und von der Erhöhung der Gebühr für Anwohnerparkplaketten ist keine Rede mehr.
Gleichzeitig setzen sich die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus und die CDU-geführte Senatskanzlei dafür ein, die weitaus höheren Beträge für veraltete Straßenbauprojekte im Landeshaushalt zu sichern. Getrommelt wird für die Planung des Weiterbaus der Stadtautobahn A 100 und für den Neubau der autobahnähnlichen Tangentialverbindung Ost (TVO), die die östlichen Stadtteile Köpenick und Marzahn verbinden soll. Allein die TVO kostet das Land mindestens 400 Millionen Euro.
Komplett verpeilt
Die Botschaft ist eindeutig: Autogerecht soll es in der Stadt wieder zugehen, mehr Platz für das Radfahren soll es nicht geben. Mit Einschränkungen für das Auto ist jetzt Schluss. Was die CDU in Berlin verkehrspolitisch macht, nennt sie selbst “für ein Miteinander im Verkehr sorgen”. Doch es ist komplett verpeilt, oder neudeutsch: Es ist weird. Und zwar aus gleich mehreren Gründen:
Erstens richtet sich die Verhinderung von mehr Radverkehr in der Stadt gegen das Auto. Denn jeder und jede, der oder die vom Auto auf das Fahrrad umsteigt, entlastet die Straßen.
Fast jeder zweite Weg mit dem Auto in der Stadt ist kürzer als fünf Kilometer. Wenn – wie andernorts längst geschehen – der Radanteil wächst, weil es sicher ist und Spaß macht, auf einem durchgehenden und vom restlichen Verkehr abgetrennten Radwegenetz zu fahren, dann nutzt das nicht zuletzt denjenigen, die auf das Auto angewiesen sind.
Kurzum: Wer Radverkehr verhindert, macht es denjenigen schwer, die nicht umsteigen können und das Auto nehmen müssen. Sei es, weil sie gehbehindert sind oder weil sie echt ungünstig wohnen oder arbeiten.
Zweitens richtet sich die Verkehrspolitik der CDU gegen den gewerblichen Verkehr.
Wenn sie die Illusion nährt, jeder private Pkw könne wie ehedem immer und überall im städtischen Raum herumfahren und zudem auch parken, sorgt sie dafür, dass diejenigen, die gewerblich unterwegs sind – und sein müssen –, in die Röhre gucken.
Die Handwerker und Pflegedienste müssen herumkurven und weit weg von der Kundschaft parken, damit diejenigen, die ihr Auto nur noch als Mobilitätsreserve oder mal am Wochenende nutzen, es für symbolische 10,20 Euro im Jahr auf öffentlichem Raum abstellen und stehen lassen können. Mehr Verkehrspolitik gegen die Wirtschaft geht kaum.
Drittens beschädigt die CDU den Standort Berlin.
Warum versuchen denn viele Metropolen dieser Welt, mit denen sich Berlin so gerne vergleicht, die (privaten) Autos möglichst aus der Stadt herauszuhalten und den Verkehrsraum neu aufzuteilen? Doch nicht aus Jux und Dollerei. Sie machen das, weil sie ihre Stadt als Standort attraktiv machen und halten wollen.
London, Paris oder Helsinki schaffen in großer Geschwindigkeit sichere Rad- und Fußwege. Brüssel führt Tempo 30 stadtweit als Regelgeschwindigkeit ein und verhindert über Modalfilter den automobilen Durchgangsverkehr. New York und Mailand entsiegeln großflächig Parkplätze und asphaltierte Autotrassen.
Im Ergebnis steigt die Aufenthaltsqualität. Das ist alles aber auch knallharte Standortpolitik. Denn nur mit weniger herumstehenden Blechkisten, mit mehr entsiegelten Flächen und mit einem sicheren Rad- und Fußwegenetz lassen sich der Klimawandel überhaupt bewältigen und Firmen in die Stadt locken, die sich aussuchen können, wo sie sich ansiedeln.
Sich dem zu verweigern und blind auf eine überkommene Autopolitik zu setzen, ist nicht nur verpeilt, sondern schlimmer noch: Das ist wirtschaftsfeindlich und ziemlich provinziell.
(Dieser Beitrag erschien ebenfalls in unserem Dossier das #Antiblockiersystem auf klimareporter.de)
Weitere Blogbeiträge von Weert Canzler:
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